Vom Bauhof zum Altstadtbalkon

Die Bürgerschaft hat jüngst entschieden, keine Haushaltsmittel für die Instandhaltung oder Sanierung der Gebäude der Bauverwaltung am Kleinen Bauhof einzustellen (24.9.2020). Statt Investition von 2 Mio. Euro in 2021/22 solle der Bürgermeister, so der Antrag von CDU und SPD im Antrag zum Haushaltsbegleitbeschluss, „alternative Büroflächen anmieten, bis zur finalen Standortstrategie der Verwaltung“.

Mieten statt Sanieren?
Gebäude in städtischen Eigentum werden also bewusst nicht instandgehalten bzw. instandgesetzt.
Hier läuft die Stadt Gefahr, dauerhaft Steuergelder zu verschwenden. Denn das Konzept der "großen Koalition" geht davon aus,  so die Aussage aus der SPD, dass "spätestens nach 10 Jahren der eingesparte Betrag von 2,0 Mio. EUR durch die Miete aufgezehrt sein wird. Innerhalb dieses Zeitraums soll eine generelle Neuorganisation der Verwaltungsstandorte erfolgt sein."
Auf Nachfrage wurde erklärt, dass zumindest die SPD nicht vorhabe, die Gebäude zu verkaufen. Umso unverständlicher die Entscheidung, sich als Eigentümer und Nutzer nicht mehr um die Gebäude kümmern zu wollen.

Eigentum verpflichtet!

Neu Bauen statt Mieten?
Die Verwaltung wurde im Mai 2019 von der Bürgerschaft aufgefordert, einen "Prüfauftrag zur Erstellung eines Standortkonzeptes für die Neuordnung der städtischen Verwaltungsstandorte ab 2030" zu bearbeiten. Hierzu sollen auch mögliche Standorte zur Realisierung eines neuen Verwaltungszentrums recherchiert werden. Ein erster Zwischenbericht sei für 2021 vorgesehen. "Aus diesem werde dann eine Tendenz ersichtlich sein", so die SPD.
Der Beschluss dazu lautet:  "Der Bürgermeister wird beauftragt, ein Standortkonzept für die Neuordnung der Verwaltungsstandorte der Stadtverwaltung und städtischen Eigenbetriebe vorzulegen. Ziel ist die Anzahl der Standorte zu reduzieren, aufgabengerecht zu bündeln und auslaufende Mietverträge nach Möglichkeit nicht zu verlängern. Teil der Konzeption ist ein neu zu errichtendes Verwaltungszentrum, das Ansprüchen an eine moderne Verwaltung und einem attraktiven Arbeitgeber gerecht wird. Die Umsetzung des Konzeptes hat bis spätestens 2030 zu erfolgen."

10 Jahre für Standortsuche, Herstellung des Baurechts, Planung, Ausschreibung und Bau – das erscheint äußerst sportlich. Durch den o.g. Haushaltsbeschluss setzt man sich aber nun selbst unter Druck – bzw. die Bürgerschaft die Verwaltung. Nach 10 Jahren wird das Mieten teurer als geplant und die Politik wird sich verantworten müssen – und dann womöglich mit dem Finger auf die Verwaltung zeigen.
Die Gebäude am Bauhof sind womöglich bis dahin unbrauchbar geworden. Man kann nur hoffen, dass Mitarbeiter:innen nicht wegen miserabler Zustände der Büros ihre Stellen kündigen.

Was ist der Plan?
Der Beschluss im Mai 2019 fordert: "Dem Hauptausschuss ist mindestens 1 x jährlich über den Fortgang der Planungen zu berichten." Was ist seit Mai 2019 geschehen? Antwort der Verwaltung an die Bürgerschaft: die Planung seien mit der Grundlagenermittlung gestartet, es liegen aber noch keine belastbaren und mitteilungsrelevanten Planungsergebnisse vor. Ein erster Zwischenbericht sei für 2021 geplant.
Es wird vermutlich bald aufs Tempo gedrückt werden müssen. Wer dann noch öffentliche Diskussionen anmahnt, wie es das ArchitekturForum oftmals tut, droht dann womöglich als Verzögerer oder Verhinderer dazustehen. Dabei wäre jetzt Zeit für offene Worte.
Welche Standorte werden denn diskutiert? Man meint mit der Standortstrategie (auch) die Mittlere Wallhalbinsel.  Die MWHI muss ja ohnehin einige Gedankenspiel mitmachen.


MWHI? „Da ist noch Platz"
2018 forderte die CDU eine neue Halle an der MuK (HL-Live, 12.2.2018). Auch Bürgermeister Lindenau sprach sich eindeutig dafür aus, ebenso Ilona Jarabek von der MuK.
Auch von einer Tiefgarage war 2018 die Rede. Der ehemalige Geschäftsführer der Schwartauer Zweitliga-Handballer Michael Friedrichs und Beiratsmitglied Dr. Marc Weinstock (BIG Bau Unternehmensgruppe) haben 2018 der Stadt eine Machbarkeitsstudie zu dieser Mehrzweckarena übergeben.
Die Inhalte dieser Machbarkeitsstudie wurden von Senator Boden nicht veröffentlicht. Eine Studie aus 2017 für die Entwicklung des neuen Verwaltungsstandortes ebenso nicht.
Und nun schlägt die Verwaltung vor, als Ergänzung des Parkhauses in der Wallstraße ein weiteres neben der MUK zu bauen.
Alles ohne städtebauliche Grundlagenplanung.

Öffentliche Diskussionen über städtebauliche Aspekte dieses Areals führt derzeit nur das ArchitekturForumLübeck – mit Spaziergängen, einem Workshop mit Studierenden aus Lübeck und Czernowitz in 2016 sowie im Februar 2020 in einem offenen Diskurs mit Studierenden der TH Lübeck (LN berichtete). Gemeinsam mit den Studierenden, unseren Mitgliedern und Gästen haben wir einmal genauer hingeschaut: Was plant die Stadt, wie geht es weiter mit der MuK, kommt eine Brücke oder mehrere - und wenn ja: wohin gehören sie? Was ist mit einer Halle, einem Verwaltungsbau, was ist mit Wohnen auf dem "Altstadtbalkon"- es gibt zahlreiche Fragen, die man an dieser Stelle diskutieren kann und muss. Die Arbeiten der Studierenden dienten als idealer Diskussionsanlass.
Zu sehen war ein interessantes Spektrum an Arbeiten: Von einem gänzlichen Verzicht auf eine Bebauung (Stichwort "Lübecks Grünes Band"), bis hin zu unterschiedlich verdichteten Bebauungsstrukturen mit verschiedenen Nutzungsschwerpunkten.
Was ist ein Verwaltungszentrum in 2025? Auch diese Frage hatten die Studierenden gestellt. Als Antworten wurden Beispiele aus Groningen (Forum) oder Aarhus (Dokk1) genannt. Ein „technisches Rathaus“ mit Öffnungszeiten von 9-16 Uhr vermochte sich an diesem Abend niemand vorstellen.
Es wurde an diesem Abend wieder einmal sichtbar, dass bereits heute sehr viele Nutzungen auf der Mittleren Wallhalbinsel zusammen kommen. So ist sie mit der MUK ein Kulturstandort, es finden sich Hotels, Parkplätze für die Altstadt, die „Walli“ und anderes. Zukünftig werden noch weit mehr Themen und Aufgaben für diesen Ort relevant werden.
Das Mobilitätskonzept zum Zukunftsprozess Lübeck:überMorgen sieht zur langfristigen Entlastung des Holstentor-Umfeldes zudem umfangreiche Veränderungen der Verkehrsführungen in und um die Altstadt vor, die sich auch auf die Mittlere Wallhalbinsel auswirken werden.
Daneben ist die Mittlere Wallhalbinsel ein wichtiges Scharnier, um langfristig Lübecks Grünes Band um die Altstadt zu schließen - dies ist wiederum für die Bewohner im Quartier St. Lorenz von entscheidender Bedeutung.
Deutlich gezeigt haben die Konzepte der Studierenden, dass die Mittlere Wallhalbinsel nicht allen Begehrlichkeiten gerecht werden kann, die an sie gerichtet werden.
„Da ist noch Platz" sagte Christopher Lötsch gegenüber den LN (12.1.2018). Auf welchen Studien sich diese Einschätzung des Bauausschussvorsitzenden beruht, ist nicht bekannt. 2018 erklärte Bürgermeister Lindenau den Neubau einer Mehrzweckhalle für 6.500 Besucher neben der MUK gar für "alternativlos" (LN vom 5.10.2018).
"Da ist noch Platz" sagt nun auch die Verwaltung in Bezug auf ein weiteres Parkhaus (LN vom 2.12.2020). Die Mittlere Wallhalbinsel ist aber nicht die Abstellkammer Lübecks, wo man ohne städtebauliches Konzept nach Belieben Großbauten absetzt.

Man mag und darf alles denken – hier braucht es aber transparente Prozesse, die städtebauliche und funktionale Aspekte im Blick haben und Planungskultur beweisen.
Welche Strategie verfolgt die Bürgerschaftsmehrheit hinter dem Beschluss "Mieten statt Instandhalten"?
Welche Strategie verfolgt man für die Mittlere Wallhalbinsel? Sie muss im Zusammenspiel mit dem neuen Rahmenplan Innenstadt, dem Verkehrskonzept, der Standortfrage für Parkhäuser, Hallen oder Verwaltungsbauten, den Wallanlagen als Grünraum und auch mit der künftigen Stadtgrabenbrücke gesehen werden.
Alles hängt wieder einmal mit allem zusammen.

Die Stadt braucht hier wie dort Planungs- und Baukultur!
 

Jörn Simonsen · Dezember 2020