Nun ist es amtlich: am 3. November 2020 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klagen gegen den Fehmarnbelttunnel abgewiesen und somit den Weg für das Projekt
freigemacht.
Was bedeutet das nun für Lübeck? Ohne Frage werden die Regionen dies- und jenseits des Beltes über die Staatsgrenzen hinweg durch die neue Verknüpfung näher zusammenwachsen. Die hierin liegenden
Chancen haben zuvor bereits andere Brückenschläge wie beispielsweise zwischen Kopenhagen und Malmö aufgezeigt. Andererseits wird die neue schnelle Verknüpfung auch ein Mehr an Verkehr mit sich
bringen - sowohl auf der Straße als auch insbesondere auf den Schienen. Von kilometerlangen Güterzügen ist die Rede, die künftig unsere Region und somit auch unsere Stadt durchqueren werden. Seit
langem wird nun vielerorts bereits darüber diskutiert und mit der Bahn gerungen, wie welche Maßnahmen umgesetzt werden können, um die negativen Auswirkungen auf Städte und Menschen zu mildern.
Die Strategien und Lösungsansätze der einzelnen Städte und Gemeinden sind hierbei jeweils sehr unterschiedlich und vielfältig. In Lübeck führt die Strecke der Bahn mitunter an dicht besiedelten
Wohnvierteln entlang durch die Pufferzone des Welterbes und bildet bereits heute eine signifikante Schneise zwischen den Vierteln unserer Stadt. Grund genug einmal näher hinzusehen, mit welchen
Ideen und Maßnahmen man hier den kommenden Veränderungen entgegen blickt.
Ein Projekt internationaler Verbindungen
Im Jahr 2008 unterzeichneten die Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland und des Königreiches Dänemark den Staatsvertrag über eine feste Fehmarnbelt-Querung. Darin verpflichtet sich
Dänemark die feste Querung zu errichten, zu betreiben und die Kosten zu tragen, während Deutschland den Ausbau der Straßen- und Schienenhinterlandanbindung auf deutscher Seite sicherstellen
muss.
Ein Projekt nationaler Streitigkeiten
Der Bundestag hat sich im Juli 2020 mit der Fehmarnbeltquerung beschäftigt und dem Projekt grundsätzlich grünes Licht erteilt. Zuvor, im Mai 2020, hatte das
Bundesverwaltungsgericht nach einer Klage der Gemeinden Bad Schwartau, Großenbrode und Scharbeutz einen Vergleich vorgeschlagen: der Fehmarnbelttunnel darf nach
Fertigstellung für Güterzüge erst dann geöffnet werden, wenn auch der Erschütterungs- und Lärmschutz auf der Hinterland-Schienenanbindung gewährleistet sei. Lübeck war nicht unter
den Klägern. Bad Schwartau hatte sich, anders als Lübeck, frühzeitig mit technischen Details beschäftigt, und versucht, diese mit der DB zu verhandeln.
Ein Projekt lokaler Tragweite
Nach LN-Angaben sind über 3.600 Lübecker Haushalte von dem zunehmenden Zugverkehr betroffen. Die Verwaltung erwartet eine Zunahme der Züge von 172 auf 377 pro Tag. Schallschutzmaßnahmen
für die betroffenen Anwohner sind also von enormer Wichtigkeit.
Nach langen Verhandlungen liegt seit Juni diesen Jahres nun ein „Bericht über das Ergebnis der Vorplanung [...] zur Ausbaustrecke/Neubaustrecke Hamburg – Lübeck – Puttgarden" des Deutschen
Bundestags vor, der darstellt, welche Forderungen seitens der Hansestadt zu Maßnahmen entlang der Trasse in Lübeck formuliert und entsprechend bewilligt worden sind. Die Position der Stadt
ist in den Verhandlungen dem Vernehmen nach nicht die einfachste gewesen, da ein Anspruch auf Maßnahmen zum übergesetzlichen Lärmschutz aus rechtlicher Sicht nicht
besteht. Hintergrund ist, dass die Bahntrasse im Stadtgebiet nicht wesentlich ausgebaut wird, was die Bahn zu weniger Maßnahmen verpflichtet.
Dennoch freut man sich im Juli 2020 in Lübeck über die Zusage aus Berlin über "50 Millionen für den Lärmschutz". Die LN zitieren Bürgermeister Jan Lindenau (SPD):
„Lübeck hat den angebotenen Dialog ernst genommen und nicht zunächst technische Lösungen diskutiert, sondern die Schallschutzgrenzwerte in den Fokus gestellt. Das hat offenbar
zum Erfolg geführt.“ Auch die Bausenatorin Joanna Hagen wurde zitiert: „Unsere Strategie ist aufgegangen. Damit verbessert sich die Situation für alle Betroffenen
erheblich“ (LN, 3.7.2020). Auch seitens des Büros der SPD-Bundestagsabgeordneten Frau Hiller-Ohm wird es als Erfolg gesehen, dass Lübeck überhaupt Berücksichtigung im
Bundestagsbeschluss findet.
Hat Lübeck also erfolgreich verhandelt?
Der Teufel liegt im Detail
Ein großer Teil der zugesagten 50 Millionen Euro fließt zunächst einmal in den Erschütterungsschutz von Brücken und anderen Streckenabschnitten. Nur ein Anteil verbleibt für
Schallschutzmaßnahmen. Die eingestellten Kosten sind zudem berechnet auf klassische aktive Maßnahmen (Schallschutzwände) – für Maßnahmen darüber hinaus jedoch explizit
nicht. Wie die Umsetzung konkret erfolgen kann, wird erst im weiterführenden Planungsprozess thematisiert. Weitergehende Maßnahmen zur Schaffung von Verknüpfungen
wie Brücken-, Tunnel- oder Trogsysteme (wie in Bad Schwartau) sind anscheinend kein Thema für Lübeck.
Für die Streckenabschnitte entlang der Katharinenstraße hatte man zunächst gefordert, eine Einhausung der Strecke vorzunehmen. Die Stadt hat diese Forderung jedoch zurückgezogen und
"setzt jetzt auch auf diesem Abschnitt auf Schallschutzwände und Schallschutzfenster", so die LN am 18.2.2019.
So findet sich in dem Bericht des Bundestages als gemeindespezifische Forderung der Stadt Lübeck und somit als Grundlage für die bewilligten Kosten nun tatsächlich lediglich eine
"durchschnittlich 5,0 m hohe Lärmschutzwand im Bereich Einsiedelstraße bis Marquardstraße".
Gleichermaßen ist in der Drucksache des Bundestages zur Welterbe-Pufferzone formuliert:
"In Bereichen, in denen die (...) geforderte Umsetzung aktiven Lärmschutzes aus Gründen einer Beeinträchtigung der Blickbeziehungen zur UNESCO-geschützten Altstadtsilhouette nicht vertretbar ist,
sind Schutzbauwerke in Form von Einhausungen bzw. Teileinhausungen zu errichten. Dies gilt insbesondere entlang der Katharinenstraße."*
Was ist damit gemeint? Das Büro von Frau Hiller Ohm klärt auf:
"die Forderung auf Seite 106 ist eine Forderung nach einer Prüfung, ob eine Einhausung notwendig wäre. Finanziell findet sich diese Forderung nicht im Forderungskatalog der Stadt Lübeck wieder.
Deswegen konnte sie auch nicht in den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD im Bundestag aufgenommen werden.“
Will sagen: dafür ist kein Geld eingestellt. Nachverhandeln wird kaum möglich sein. Was nun?
Stadtentwicklung am Gleis
Man sollte das Ergebnis nicht schmälern – der Schallschutz ist für die Bewohner:innen an den Gleisen enorm wichtig, der Erschütterungsschutz für Gebäude und
Brücken auch. Aber ist das nicht lediglich die Pflicht? Ja – auch die Pflicht ist harte Arbeit und muss bewältigt werden. Es gibt aber auch eine Kür.
Maßnahmen im Lübecker Streckenabschnitt bilden eine ganz besondere städtebauliche Aufgabe. Zu bemerken sind dabei neben dem Lärm- und
Erschütterungsschutz mindestens zwei weitere Aspekte:
1. Die Bahnlinie führt durch die Pufferzone des Welterbes mit Blick auf die Stadtsilhouette. Dies ist bei der Planung von Lärmschutzmaßnahmen unbedingt zu berücksichtigen.
Fünf Meter hohe Lärmschutzwände sind sicher nicht Welterbe-konform und würden an dieser Stelle den außergewöhnlichen und einzigartigen Blick auf die Lübecker Altstadt
verhindern. Lärmschutzwände sind Bauwerke – und wirken wie trennende Innenwände des öffentlichen Raumes.
2. Die Bahnlinie trennt St. Lorenz Nord von Roddenkoppel, Wallgraben, Trave und der Altstadt. Es sollten bei der Planung der Bahntrasse mögliche Verknüpfungen und Querungen mitgedacht
werden. Ohne weitere (oder besser nutzbare) Brücken oder ein Verlegen der Bahnstrecke in einen Trog oder gar einen Tunnel würde dieser Zustand unverändert bleiben. Die vorhandene Topografie
bietet hierzu auf den ersten Blick gute Möglichkeiten.
Es ist aufgrund der sensiblen Lage der Streckenführung also ebenso von großer Bedeutung, Ideen zu entwickeln sowohl zur gestalterischen Verträglichkeit geplanter Maßnahmen, als auch hinsichtlich
der Schaffung von Verknüpfungen zwischen den Stadtquartieren über die Bahnlinie hinweg.
Chancen zur nachhaltigen Stadtentwicklung nutzen
Maßnahmen zum Abbau der Barriere zwischen der Roddenkoppel, St. Lorenz Nord und der Altstadt sind also offenbar im Zuge der Verhandlungen zur Hinterlandanbindung nicht im
Forderungskatalog der Hansestadt Lübeck aufgenommen worden. Dabei bieten die anstehenden notwendigen Veränderungen die einmalige Chance, hier ein Stück Stadtreparatur zu betreiben und die
Qualität der angrenzenden Stadtviertel nachhaltig zu verbessern. Lohnenswert wäre ein Abbau der Barrieren, denn St. Lorenz-Nord ist ein Quartier, dem es an Grünflächen und
Aufenthaltsqualität mangelt, das aber an seinem östlichen Rand, jenseits der Bahn, außergewöhnliche Potentiale am Wasser bietet. Der temporäre Brückenschlag des ArchitekturForums im
Jahr 2019 zwischen Roddenkoppel und Nördlicher Wallhalbinsel hat vielen Menschen zu diesem Thema die Augen geöffnet und gezeigt wie wichtig bessere Verknüpfungen einerseits und wie groß die
Potentiale andererseits an diesem Ort sind.
Im Zusammenhang mit der temporären Brücke über den Wallhafen hat sich das ArchitekturForum zudem im Rahmen der VHS-Reihe „Brückenschläge“ unter anderem dem Beispiel „Hamburger Deckel“ gewidmet.
Holger Djürken-Karnatz von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen in Hamburg erläuterte, wie man mit klugen Ideen, politischem Willen und Durchhaltevermögen ein zunächst reines
Lärmschutzthema zu einem zukunftsorientierten Stadtentwicklungsthema machen kann. Räumliche Vernetzung und Schaffung öffentlicher und grüner Räume stehen jetzt im Fokus. Autobahn und Lärmschutz
waren die Pflicht – ein neuer Volkspark ist die Kür. Man kann also durchaus kreativ mit den Mitteln des Bundes umgehen. Wenn man weiß, was man will. Von den Lübecker Politik- und
Verwaltungsspitzen hat man dazu wenig vernommen.
Was nun?
Lärmschutzwände an der Katharinenstraße können aufgrund der zuvor genannten Aspekte also definitiv nicht die Lösung für Lübeck sein. Lärmschutz ist wichtig, muss aber kreativ gedacht werden. Die
städtebaulichen Chancen die in den anstehenden Veränderungen liegen müssen genutzt werden. Die Möglichkeit die hierfür notwendigen Gelder über die Verhandlungen zur Hinterlandanbindung zu
erhalten wurde vertan, nun müssen die Maßnahmen über andere Mittel gewährleistet werden. Die Potentiale des Projektes müssen im Rahmen des Stadtumbau Lübeck Nord-West gesehen und berücksichtigt
werden; Mögliche Lösungen und deren technische Realisierbarkeit müssen in die entsprechenden Planungen einfliessen.
Es bleibt zu hoffen, dass dazu entsprechende Gelder (vom Land oder aus dem Haushalt der Hansestadt Lübeck) bereitgestellt werden. Ob dann die Bahn zu technischen Lösungen bereit ist,
bleibt abzuwarten. Hoffnung besteht eher nicht. Die Schwartauer wissen, wie hart die Bahn verhandelt und kämpft und dass man nicht alle Forderungen durchbekommt. Aber sie haben es
versucht und dabei zumindest einen Teil-Erfolg errungen.
Die anstehenden Veränderungen bilden einen erheblich Eingriff in den öffentlichen Raum in der Pufferzone des Welterbes der Lübecker Altstadt. Die gesamte Planung muss daher im Vorfeld auch mit
dem Welterbe- und Gestaltungsbeirat diskutiert werden. Was für private Bauherren gilt muss auch für die Bahn und den Bund gelten.
Dies alles soll kein Urteil über die Notwendigkeit der Fehmarnbeltquerung sein – aber auch ein europäische Mammutprojekt muss ebenso lokal behandelt werden. Die Züge fahren am Ende
ja nicht am Bundesverkehrsministerium, der DB-Zentrale oder an Andreas Scheuers Garten vorbei, sondern mitten durch Lübeck.
Jörn Simonsen und Lothar Többen · November 2020